Europäischer HTA-Prozess

Vor dem Inverkehrbringen eines innovativen Arzneimittels in Europa müssen Arzneimittel-Hersteller im Rahmen der Zulassung Qualität, Sicherheit und Unbedenklichkeit nachweisen. Darüber hinaus muss in der Regel gegenüber nationalen Behörden oder Institutionen ein sogenanntes Health Technology Assessment (HTA) durchgeführt werden. Diese Verfahren stellen eine systematische, evidenzbasierte Bewertung medizinischer Verfahren und Technologien im Hinblick auf deren Effekte auf die Gesundheitsversorgung dar und können als Instrument der Entscheidungsfindung für die Aufnahme oder Zurückweisung neuer Verfahren, Technologien oder Maßnahmen in die medizinische Regelversorgung der einzelnen Mitgliedstaaten dienen.

[glossar] Das Verfahren der Nutzenbewertung in Deutschland :::

Beispielsweise in Deutschland bewertet der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) gemäß § 35a SGB V den Nutzen von erstattungsfähigen Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen. Hierzu gehören insbesondere die Bewertung des Zusatznutzens gegenüber einer zweckmäßigen Vergleichstherapie, die Bestimmung des Ausmaßes des Zusatznutzens und seine therapeutische Bedeutung. Auf der Basis dieser frühen Nutzenbewertung des G-BA vereinbaren nach § 130b SGB V der Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) und die pharmazeutischen Unternehmer für das betroffene Arzneimittel einen Erstattungsbetrag. [/glossar]

[glossar] Die Ziele des europäischen HTA-Prozesses :::

Während zentrale Zulassungsverfahren auf europäischer Ebene dem Antragsteller ermöglichen, mit einem einzigen Antrag die Zulassung für ein Arzneimittel in allen Mitgliedsstaaten des europäischen Wirtschaftsraums (EU-Mitglieder, Island und Norwegen) zu erhalten, ist dies für HTA-Bewertungen bisher nicht möglich.  

Mit dem Ziel,

  • die Harmonisierung der Methoden,
  • die Schaffung von Transparenz,
  • die Vermeidung von Redundanzen und
  • einen schnelleren Zugang von Patientinnen und Patienten zu innovativen Therapien für ganz Europa

herbeizuführen, initiierte die Europäische Kommission daher eine Gesetzgebung, die am
11. Januar 2022 mit der Verordnung (EU) 2021/2282 über die Bewertung von Gesundheitstechnologien (im Folgenden kurz EU-HTA- Verordnung genannt) in Kraft trat. Damit wird ein europäischer Prozess zur klinischen Bewertung von Arzneimitteln und bestimmten Medizinprodukten sowie die damit verbundene wissenschaftliche Beratung etabliert. Bereits im Januar 2025 wird mit der Bewertung von Arzneimitteln für neuartige Therapien (ATMP) und onkologischen Arzneimitteln begonnen. In einem gestuften Verfahren werden ab 2028 Orphan Drugs und ab 2030 alle weiteren innovativen Arzneimittel folgen. Die einzelnen Mitgliedstaaten bleiben allerdings weiterhin verantwortlich, unter „gebührender Berücksichtigung“ der Ergebnisse des EU-HTA auf nationaler Ebene Schlussfolgerungen zum klinischen Mehrwert einer Gesundheitstechnologie zu ziehen. Um diesen Passus der Verbindlichkeit, bezogen auf die Verwendung der Ergebnisse in nationalen Verfahren, wurde bis zur Verabschiedung der EU-HTA-Verordnung lange zwischen den politischen Lagern gerungen. [/glossar]

[glossar] Was ist bisher geschehen? :::

Die Implementierung folgt einem durch die Europäische Kommission festgelegten Zeitplan, der die wichtigsten Aktivitäten zur Umsetzung der EU-HTA Verordnung beinhaltet. Der Plan unterliegt einer regelmäßigen Überprüfung, um den nationalen Behörden und Interessenträgern die aktuellen Informationen bereitzustellen.

Im Rahmen der Etablierung des EU-HTA-Prozesses wurde zwischenzeitlich eine „Governance Structure“ geschaffen, die den rechtlichen und faktischen Ordnungsrahmen bildet. Die im März 2022 eingerichtete Koordinierungsgruppe leitet und überwacht die Arbeit der vier Subgruppen, die sich auf die Themenkomplexe Joint Clinical Assessment, Joint Scientific Consultations, Identification of emerging health technologies und Methodology aufteilen (siehe Abbildung 1). Jeder Mitgliedstaat entsendet hierzu Vertreter sowohl in die Koordinierungsgruppe als auch in die im April 2023 etablierten Subgruppen. Die Vertreter müssen frei und unabhängig von Industrieinteressen sein. Auch wenn mehrere Vertreter entsendet werden, hat jeder Mitgliedstaat eine Stimme. Die Interessen Deutschlands werden durch Vertreter aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG), des G-BA sowie dem Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) vertreten. Das starke Engagement Deutschlands zeigt sich unter anderem darin, dass der Vorsitz in zwei der vier Subgruppen von deutschen Vertreterinnen besetzt wurde. Dr. Beate Wieseler (IQWiG) leitet die Subgruppe Methodology und Dr. Stephanie Said (G-BA) die Gruppe Joint Scientific Consultations.

Unterstützt werden die Arbeiten von einem bei der Europäischen Kommission angesiedelten Sekretariat sowie dem im Juni 2023 etablierten Stakeholder-Netzwerk. Diesem gehören Patientenvertreter, Nichtregierungsorganisationen im Bereich Gesundheit, Herstellerverbände sowie Klinische Experten an. Zudem wurde eine IT-Infrastruktur eingerichtet, die unter anderem dem Einreichen der Daten durch die Hersteller sowie der Veröffentlichung der HTA-Berichte dienen wird.

Parallel dazu erhielt das Konsortium EUnetHTA 21 im September 2021 den Auftrag, die Umsetzung der EU-HTA-Verordnung und somit die künftige verbindliche gemeinsame HTA-Arbeit vorzubereiten. Unter Beteiligung von G-BA und IQWiG erarbeitete das mit insgesamt 13 HTA-Organisationen besetzte Konsortium diverse Leitfäden zur Schaffung einheitlicher Standards für die gemeinsame europäische Nutzenbewertungen. Im September 2023 wurde die Arbeit im Rahmen des zweijährigen Dienstleistungsvertrags beendet. Die in vielen Punkten kritisch zu sehenden Ergebnisse dienen nun als Grundlage für die Festlegung der EU-HTA Standards. [/glossar]

[glossar] Wie ist der Ablauf des EU-HTA Verfahrens gestaltet? :::

Ab Januar 2025 muss für alle neuen onkologischen Arzneimittel sowie ATMP, für die ein Antrag auf Zulassung in der Europäischen Union gestellt wird, ein EU-HTA-Verfahren durchgeführt werden. Dieses beinhaltet die gemeinsame wissenschaftliche Beratung sowie die gemeinsame klinische Bewertung. Der gemeinsamen klinischen Bewertung geht ein Scoping-Prozess voraus. Hierfür werden die individuellen Anforderungen der Mitgliedstaaten betreffend Patientenpopulation, Intervention, Komparator sowie Outcome (PICO) an die Koordinierungsgruppe gemeldet. Auf Basis dieser Informationen wird dann der Bewertungsumfang festgelegt. Gemäß Artikel 10 der EU-HTA-Verordnung unterrichtet die Europäische Kommission den Hersteller anschließend über den Bewertungsumfang und fordert ihn zur Einreichung eines Dossiers auf. Für Arzneimittel liegt die Einreichungsfrist mindestens 45 Tage vor der geplanten Frist für das Gutachten des Ausschusses für Humanarzneimittel gemäß Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004.

Auf Grundlage des vorgelegten Dossiers und des festgelegten Bewertungsumfangs erstellt ein Gutachter mit der Hilfe eines Mitgutachters den Entwurf des EU-HTA-Berichts sowie eine Zusammenfassung über die gemeinsame klinische Bewertung. Spätestens 30 Tage nach Annahme des Beschlusses der Kommission über die Erteilung der Zulassung muss der HTA-Bericht durch die Koordinierungsgruppe gebilligt werden. Innerhalb von weiteren 10 Tagen findet eine Verfahrenstechnische Prüfung durch die Europäische Kommission statt und die Ergebnisse werden auf der IT-Plattform veröffentlicht. [/glossar]

[glossar] Wie geht es weiter? :::

Bis Januar 2025 müssen entsprechende Standards im Rahmen von Durchführungsrechtsakten festgelegt werden. In Planung sind hierzu insgesamt sechs Durchführungsrechtsakte:

  • zur gemeinsamen klinischen Bewertung von Arzneimitteln,
  • zum Umgang mit Interessenkonflikten,
  • zur Zusammenarbeit und Informationsaustausch mit der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA),
  • zur gemeinsamen wissenschaftlichen Konsultation zu Arzneimitteln,
  • zur gemeinsamen wissenschaftlichen Konsultation zu Medizinprodukten und
  • zur gemeinsamen klinischen Bewertung von Medizinprodukte.

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Pharma Deutschland wird den Prozess weiterhin aktiv begleiten, die Positionen unserer Mitgliedsunternehmen einbringen und über den weiteren Verlauf berichten.

Sie finden die aktuelle Stellungnahme zum Implementing Act – Joint Clinical Assessment im Bereich Stellungnahmen & Positionspapiere.

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