Switches
Switch: So werden verschreibungspflichtige Arzneimittel rezeptfrei
Aber wie funktioniert ein OTC-Switch? Dieses Video erklärt anschaulich, wie bisher ein rezeptpflichtiges Arzneimittel bzw. ein Wirkstoff rezeptfrei wird.
Weniger Bürokratie und mehr Effizienz in der Gesundheitsversorgung – durch eine Modernisierung des Verfahrens für neue rezeptfreie Arzneimittel aus der Apotheke
Die Verfügbarkeit rezeptfreier, apothekenpflichtiger Arzneimittel ermöglicht es den Menschen in Deutschland, zahlreiche gesundheitliche Beschwerden – etwa Erkältungen, Heuschnupfen oder Migräne – eigenverantwortlich und unkompliziert zu behandeln. Dadurch können Arztpraxen und Notfallambulanzen entlastet und unnötige Wartezeiten vermieden werden. Gleichzeitig besteht jederzeit die Möglichkeit, sich in der Apotheke vor Ort fachkundig beraten zu lassen.
Hiervon profitiert der Einzelne, aber auch das Gesundheitssystem. Denn bereits heute werden so 134 Mio. Stunden ärztlicher Arbeitszeit eingespart und GKV-Ressourcen im Wert von 16 Mrd. Euro freigesetzt. Außerdem werden 4,8 Mrd. Euro volkswirtschaftliche Produktivitätsverluste vermieden, u. a. durch Einsparungen individueller Warte- und Wegezeiten. Ein Euro, der für Selbstmedikation ausgegeben wird, spart jeweils gut 14 Euro für die GKV und 4 Euro für die Volkswirtschaft. Dazu leisten zunehmend auch solche rezeptfreien Arzneimittel einen bedeutenden Beitrag, die im Laufe der Zeit aus der Verschreibungspflicht entlassen wurden.
Vor dem Hintergrund veränderter Lebensrealitäten sowie angesichts bestehender Ressourcen- und Finanzierungsengpässe im Gesundheitswesen – insbesondere im Hinblick auf die jährlich rund 100 Millionen Arztkontakte zur Behandlung geringfügiger Beschwerden – ist eine stärkere Nutzung der Potenziale apothekengestützter Selbstmedikation und neuer rezeptfreier Arzneimittel als sinnvoller Ansatz zur Steigerung der Effizienz in der Gesundheitsversorgung unausweichlich.
Dafür muss jedoch das bisherige außerordentlich komplexe, langwierige und teils intransparente Verfahren zur Entlassung von Produkten aus der Verschreibungspflicht in die Apothekenpflicht (das sog. „Switch“-Verfahren) modernisiert werden. Es muss schlanker, planbarer und attraktiver werden sowie zu einer Stärkung der Zulassungsbehörde führen.
Ziel ist ein stabiles Gesundheitssystem durch so viel Eigenverantwortung wie möglich und so viel Fürsorge wie nötig. Für eine angemessene Unterstützung sozioökonomisch schlechter gestellten Menschen sollte eine ergänzende Regelung geschaffen werden, z. B. in Anlehnung an die bestehende Zuzahlungsbefreiung gemäß SGB V.
Mit verbesserten und unbürokratischen Rahmenbedingungen steigt die Bereitschaft der Unternehmen, in die Entwicklung innovativer rezeptfreier Arzneimittel und OTC-Switches zu investieren.
Hinweis: Die zitierten gesundheitsökonomischen Berechnungen basieren auf den wissenschaftlichen Arbeiten der May und Bauer – Konzepte im Gesundheitsmarkt GmbH & Co. KG. Fragen etc. können jederzeit gerichtet werden an boden@pharmadeutschland.de sowie verheesen@pharmadeutschland.de.
Wie könnte das Verfahren für OTC-Switches verbessert werden?
“Mehr Selbstmedikation und neue rezeptfreie Arzneimittel könnten in dieser Situation nicht nur einen Beitrag zur Entlastung der Krankenkassen leisten, sondern auch Teil einer Neujustierung im Verhältnis von individueller gesundheitlicher Eigenverantwortung und gesamtgesellschaftlicher Gesundheitsfürsorge sein. Überdies könnten zusätzliche Optionen in der Selbstmedikation den Apothekerberuf als Heilberuf stärken, wie es ja auch das erklärte Ziel der aktuellen Regierungskoalition ist.”
Lesen Sie den Gastbeitrag OTC-Switches: Wenn nicht jetzt, wann dann? - Deutsche Apotheker Zeitung von Lutz Boden (Apotheker und Leiter Abteilung Innovative Gesundheitsversorgung Pharma Deutschland) und Dr. Maria Verheesen (Pharma Deutschland Referentin Selbstmedikation) in der DAZ Online vom 28. Oktober 2025.
Welche Fortschritte und Ergebnisse wurden bereits erreicht?
[glossar] Mehr Beteiligungsrechte von Antragstellern im Switch-Verfahren – wichtiger Erfolg der Arbeit von Pharma Deutschland :::
Seit langem setzt sich Pharma Deutschland für eine Verbesserung der Beteiligungsmöglichkeiten der Antragsteller bei dem Verfahren zur Entlassung von Wirkstoffen aus der Verschreibungs- in die Apothekenpflicht – dem sogenannten „Switch“ – ein. Im Mittelpunkt der Diskussion stand stets die Frage, ob ein Antragsteller das Recht erhalten soll, bei den Sitzungen des Verschreibungsausschusses seinen Antrag vorzustellen und zuvor die entsprechende Empfehlung des BfArM zu erhalten. Dies war lange aufgrund der geltenden Geschäftsordnung des Ausschusses nicht möglich. Die von Pharma Deutschland vorgetragenen Argumente wurden im Oktober 2020 in wichtigen Punkten aufgegriffen und Änderungen am Verfahren durch Anpassungen der Geschäftsordnung umgesetzt. [/glossar]
[glossar] Beispiel für einen Switch: die „Pille danach“ :::
Fachkreise und Politiker diskutieren immer wieder, ob bestimmte rezeptpflichtige Arzneimittel aus der Verschreibungspflicht entlassen werden sollen. Ein Beispiel hierfür ist der Wirkstoff Levonorgestrel – besser bekannt als die „Pille danach“.
Der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht hat sich Anfang 2014 erneut, wie schon zehn Jahre zuvor, für einen sogenannten Switch, also für die Entlassung aus der Verschreibungspflicht, ausgesprochen. Der Deutsche Bundesrat stimmte dieser Empfehlung zu. Das Bundesgesundheitsministerium hat sich zunächst dagegen gewandt.
Nachdem die EU-Kommission Anfang 2015 die Rezeptpflicht für den zentral für die ganze EU als Notfallkontrazeptivum zugelassenen Wirkstoff Ulipristal europaweit aufgehoben hat, wurde auch Levonorgestrel nun in Deutschland aus der Verschreibungspflicht entlassen.
Seit Mitte März 2015 ist der Wirkstoff auch ohne Rezept erhältlich. [/glossar]
[glossar] Deutsches Verfahren bei Änderungen der Verschreibungspflicht :::
Zentrale Akteure im Switch-Verfahren sind der Arzneimittel-Hersteller, die zuständige Bundesoberbehörde (in den überwiegenden Fällen also das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM)), der beim BfArM ansässige Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht, das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und der Bundesrat mit seinem Gesundheitsausschuss.
Das Verfahren startet in der Regel mit einem Antrag des Arzneimittel-Herstellers auf Entlassung eines Arzneimittels aus der Verschreibungspflicht. Anschließend muss die zuständige Bundesoberbehörde den Antrag prüfen. Nach Prüfung auf Vollständigkeit und Schlüssigkeit wird der Antrag auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung des Sachverständigenausschusses genommen. Dieser tagt in der Regel zweimal jährlich.
Die Bundesoberbehörde erstellt zu dem Antrag eine Stellungnahme, die die Ausschussmitglieder vorab erhalten. Auf Basis dieser Unterlagen bewertet der Ausschuss den Antrag und verabschiedet eine Empfehlung gegenüber dem BMG.
Diese Empfehlung ist nicht bindend; das BMG kann die Empfehlung umsetzen, modifizieren oder ablehnen. Wenn das BMG zugestimmt hat, wird ein Entwurf einer Verordnung zur Änderung der Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) dem Bundesrat zur Zustimmung zugeleitet, der wiederum seinen Gesundheitsausschuss mit der Prüfung befasst.
Die Zustimmung des Bundesrates war in der Vergangenheit eher eine Formsache; inhaltliche Änderungen waren äußerst selten. In jüngster Zeit bringt sich der Bundesrat jedoch aktiver in diesen Prozess ein. Das ganze Verfahren nimmt von der Antragstellung bis zur Publikation im Bundesgesetzblatt im günstigsten Fall rund sechs Monate in Anspruch, kann aber auch bedeutend länger dauern oder ganz scheitern. [/glossar]
[glossar] Europäischer Switch: Eine interessante Alternative :::
Die Einstufung eines Wirkstoffs als verschreibungspflichtig oder nicht ist in Europa eine rein nationale Angelegenheit. Jeder Mitgliedstaat hat hierzu eigene Verfahren mit nationalen Besonderheiten entwickelt.
Dies macht es einem international operierenden Unternehmen nicht leicht, europaweit ein Produkt in den OTC-Status – sprich in den verschreibungsfreien Zustand (over-the-counter) – zu überführen. Einen Wirkstoff in der EU zentral zu „switchen“ hat deshalb eine hohe Attraktivität.
Ein zentraler Switch muss bei der europäischen Zulassungsbehörde (EMA) beantragt und im Europäischen Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) diskutiert werden. Der CHMP erstellt eine Empfehlung und die Europäische Kommission fällt abschließend eine Entscheidung. Soll der Wirkstoff aus der Verschreibungspflicht entlassen werden, ist diese Entscheidung in allen EU-Mitgliedstaaten bindend.
Die Vorteile einer zentralen Entlassung aus der Verschreibungspflicht in der Europäischen Union sind auf den ersten Blick bestechend, erhält man auf diese Weise doch sofort Zugang zum gesamten EU-Markt.
Jedoch gibt es auch Nachteile: Nach Rechtsauffassung der Europäischen Kommission kann es kein Nebeneinander von wirkstoffgleichen Produkten mit zentraler und nationaler Zulassungen und auch keinen Raum für eine zusätzliche wissenschaftliche Bewertung und regulatorische Entscheidungen für das gleiche Arzneimittel auf nationaler Ebene geben.
Wenn die europäische Entscheidung negativ ausfällt, es also keine EU-weite Entlassung aus der Verschreibungspflicht gibt, dürfen anschließend keine national begrenzten Entlassungsanträge mehr gestellt werden. [/glossar]
[glossar] Pharma Deutschland fordert mehr Pragmatismus und Transparenz :::
In den letzten Jahren führten immer wieder regulatorische Probleme zu langen Verzögerungen bei der Umsetzung von Empfehlungen des Sachverständigenausschusses für Verschreibungspflicht; in manchen Fällen erfolgt die Umsetzung überhaupt nicht, obwohl die betroffenen Substanzen unstrittig für die Selbstmedikation geeignet waren.
Wünschenswert wäre es, wenn die zuständigen Behörden frühzeitig mit dem Antragsteller in Dialog treten und mögliche Handlungsoptionen diskutieren. Als besonders pragmatisch in diesem Sinne hat sich die britische Zulassungsbehörde erwiesen; in Deutschland besteht diesbezüglich noch Potenzial.
Vor diesem Hintergrund hat Pharma Deutschland zusammen mit einer Gruppe von Experten zuletzt im Jahr 2019 Vorschläge erarbeitet, das Switch-Verfahren transparenter und effizienter zu gestalten.
Das BfArM und das BMG haben einige der Anregungen aufgegriffen und bereits in die Praxis umgesetzt. So werden seit kurzem die Beschlüsse des Ausschusses erheblich ausführlicher protokolliert. Zudem hat das BfArM mit Zustimmung des BMG und des Sachverständigenausschusses für Verschreibungspflicht die Geschäftsordnung des Ausschusses aktualisiert und gewährt Antragstellern und betroffenen Unternehmen mehr Beteiligungsrechte. [/glossar]
Switches in Deutschland seit 2005
| Jahr | Wirkstoff | Anwendung |
|---|---|---|
| 2025 | Naloxon-Nasenspray | zur sofortigen Behandlung bei vermuteter oder bestätigter Überdosierung mit Opioiden |
| 2025 | Wirkstoffkombination Prednisolon und Salicylsäure | äußerlich bei leicht ausgeprägten entzündlichen Erkrankungen der Kopfhaut, z.B. Schuppenpflechte |
| 2025 | Kombinationen aus Azelastin und Fluticasonpropionat | Heuschnupfen (nasale Form, Erwachsene) |
| 2024 | Rizatriptan | Migräne |
| 2024 | Bilastin | Heuschnupfen (Kinder von 6 bis 11 Jahren) |
| 2022 | Bilastin | Heuschnupfen (Erwachsene und Kinder ab 12 Jahren) |
| 2022 | Dexibuprofen | leichte bis mäßig starke Schmerzen |
| 2022 | Kombinationen Ibuprofen und Paracetamol | leichte bis mäßig starke Schmerzen |
| 2022 | Levodropropizin | Reizhusten |
| 2020 | Sumatriptan | Migräne |
| 2020 | Desloratadin | Heuschnupfen |
| 2019 | Diclofenac | Schmerzen (Pflaster; modifizierte Position) |
| 2019 | Levocetiricin | Heuschnupfen |
| 2018 | Ibuprofen plus Coffein | Schmerzen |
| 2017 | Aciclovir-Hydrocortison-Kombination | Lippenherpes |
| 2017 | Ibuprofen | Schmerzen (Pflaster, 6 % Wirkstoffgehalt) |
| 2016 | Fluticason | Heuschnupfen (nasale Form) |
| 2016 | Mometason | Heuschnupfen (nasale Form) |
| 2016 | Racecadotril | Durchfall (auch Kinder ab 12 J.) |
| 2015 | Levonorgestrel | Notfallkontrazeption |
| 2015 | Ulipristal | Notfallkontrazeption |
| 2015 | Esomeprazol | Sodbrennen und saures Aufstoßen |
| 2015 | Flurbiprofen | Entzündungen der Rachenschleimhaut |
| 2015 | Ketotifen | Anwendung am Auge |
| 2013 | Racecadotril | Durchfall (Erwachsene) |
| 2013 | Benzydamin | Entzündungen im Mund- und Rachenraum |
| 2013 | Ibuprofen-Pseudo-ephedrin-Kombination | Erkältungssymptome |
| 2012 | Nicotin | Erhöhung Menge auf 15 mg je abgeteilter Form |
| 2011 | Orlistat | Erweiterung der Position auf national zugelassene Arzneimittel |
| 2010 | Pantoprazol | Refluxsymptome (von der EU-Kommission europaweit zugelassen) |
| 2009 | Almotriptan | Migräne |
| 2009 | Omeprazol | Sodbrennen und saures Aufstoßen |
| 2009 | Orlistat | Adipositas (von der EU-Kommission europaweit zugelassen) |
| 2007 | Hydrocortison | Topische Anwendung (Erhöhung der Einzeldosis) |
| 2007 | Diclofenac | Erhöhung der Einzeldosis |
| 2006 | Naratriptan | Migräne |
| 2005 | Penciclovir | Lippenherpes |
| 2005 | Ibuprofen | Migräne mit oder ohne Aura |
| 2005 | Miconazol | Pilzerkrankungen der Mundhöhle |
| 2005 | Minoxidil | Haarausfall |
Re-Switches
Dass die Diskussionen im Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht keine Einbahnstraße sind, zeigen unter anderen Empfehlungen zur Rückunterstellung von Wirkstoffen/Formulierungen unter die Verschreibungspflicht in ausgewählten Fällen (sog. Re-Switches). Dies geschieht aus Sicht des Ausschusses, um Risiken der rezeptfreien Anwendung zu minimieren. Beispielhaft seien die Re-Switches von Ephedrin (1984 aufgrund einer Missbrauchsproblematik), der Antiallergika Terfenadin und Astemizol (1998 aufgrund des Risikos von Herzrhythmusstörungen) und des pflanzlichen Antidepressivums Johanniskraut in der Teilindikation mittelschwere Depressionen (2009 aufgrund möglicher Wechselwirkungen mit Immunsuppressiva und Kontrazeptiva) erwähnt.