Der Europäische Antibiotikatag wird alljährlich am 18. November in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union begangen, um das Bewusstsein der Bevölkerung für die Bedrohung der öffentlichen Gesundheit durch Antibiotikaresistenzen zu schärfen und über den rationalen Einsatz von Antibiotika zu informieren, damit eine der wichtigsten Errungenschaften der Medizin – die Antibiotika – auch für die Zukunft als effektives Mittel gegen bakterielle Infektionskrankheiten bewahrt werden können.
Vor diesem Hintergrund hat Pharma Deutschland auch in diesem Jahr wieder im Hans-Dietrich-Genscher-Haus in Berlin eine wissenschaftlich-politische Veranstaltung rund um das Thema Antibiotika und Antibiotikaresistenzen mit rund 45 Teilnehmern veranstaltet. In diesem Jahr stand die Veranstaltung unter dem Motto „Produktionsrückverlagerung, Standortstärkung und nachhaltige Versorgung - Antibiotika und mögliche Wege aus der Krise!". Thematisch wurden neben den medizinischen Folgen von antimikrobiellen Resistenzen (antimicrobial resistance, AMR) insbesondere auch die strukturellen und wirtschaftlichen Herausforderungen der Antibiotika-Krise beleuchtet.
Der Schirmherr der Veranstaltung, Dr. Georg Kippels - MdB CDU/CSU sowie Gründer und Sprecher des kürzlich gegründeten Parlamentskreises gegen Antimikrobielle Resistenzen - wies in seiner Eröffnungsrede darauf hin, dass das Thema AMR eine schleichende, globale Bedrohung darstellt, die nur unter gemeinsamer Anstrengung auf internationaler Ebene gelöst werden kann, was auch auf politischer Ebene klar erkannt und angegangen wird. In diesem Zusammenhang nannte er internationale Initiativen, wie zum Beispiel GARDP (Global Antibiotic Research & Development Partnership), die sich unter anderem auch damit beschäftigen, die Entwicklung und Erforschung neuer Substanzen zu fördern. Das Problem der Resistenzen könne zwar nicht gestoppt, aber zumindest könne das Fortschreiten der Resistenzbildung verlangsamt werden. In diesem Sinne rief Herr Kippels dazu auf, dass jeder dazu beitragen könne, die Ausbreitung von Resistenzen zu vermeiden. Zudem betonte er die Notwendigkeit von geeigneten Anreizen, um sich als Gesellschaft bzw. im Sinne der Gesundheitsversorgung auch für die Zukunft gut und unabhängig aufstellen zu können. Dazu müssten geeignete Lösungen gefunden werden, die auch die wirtschaftlichen und strukturellen Herausforderungen adressieren.
Dr. Birgit Ewert, Referentin für Arzneimittelzulassung, begrüßte die Teilnehmer im Namen von Pharma Deutschland und skizzierte in ihrem Einführungsvortrag die wachsende Bedrohung durch AMR, wobei auch die Gesundheitsaufklärung der Bevölkerung eine große Rolle spielt. Ergebnisse einer aktuellen Umfrage vom Pharma Deutschland zeigen, dass sich das Wissen rund um Antibiotika - insbesondere bei jungen Menschen - auf einem Niveau gefährlichen Halbwissens bewegt, was zur Ausbreitung von Resistenzen beitragen könne. Vor diesem Hintergrund ist die Notwendigkeit der Sensibilisierung der Bevölkerung weiterhin ein wichtiger Baustein im Kampf gegen AMR. Neben der Resistenzproblematik stellte Dr. Birgit Ewert auch die aktuelle Situation des erodierenden Bestandsmarktes zugelassener Antibiotika dar, was sich auch in den aktuellen Lieferengpassmeldungen für diverse antibiotische Wirkstoffe in Deutschland widerspiegelt. Gründe, die dazu führen, dass sich Hersteller von Antibiotika vom Markt zurückziehen, seien vielschichtig. Besonders hervorgehoben wurde unter anderem der große Preisdruck, die Erwartungshaltung nach billigen Arzneimitteln sowie die schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die den Markt in Deutschland unattraktiv gestalten. Die Zeit zu handeln sei nun gekommen, insbesondere sei hier auch die Politik gefragt.
Thomas Heil, Vizepräsident Consumer Health bei IQVIA in Deutschland, knüpfte an den Einführungsvortrag an und ging nach einem kurzen Überblick zur Geschichte der Antibiotika sowie Resistenzentstehung auf AMR als globale Bedrohung ein, durch die bis dato mehr Todesfälle verzeichnet werden als durch HIV/AIDS oder Malaria. Die Zahl der Neuzulassungen zeige, dass ein dringender Bedarf an Innovation und Forschung besteht. Gleichzeitig zeigte er positive Entwicklungen in Bezug auf den Antibiotika-Verbrauch auf, der in den letzten Jahren in Deutschland – auch bedingt durch COVID-19 - zurückgegangen und im Vergleich zu anderen Ländern gering ist. Darüber hinaus stellte Thomas Heil anhand von Preisanalysen dar, dass die Hersteller bei der Entwicklung neuer Antibiotika vor unterschiedlichen Herausforderungen stehen, wodurch sich die Entwicklung und Vermarktung von Antibiotika nicht mehr rentiere. Daher zog auch Thomas Heil das Fazit, dass die Politik neue Anreizmodelle schaffen müsse, um die Neuentwicklung von Antibiotika wieder rentabel und attraktiv zu gestalten. In diesem Zusammenhang stellte er die unterschiedlichen Vorschläge der Europäischen Kommission im Rahmen der Überarbeitung der EU-Arzneimittelgesetzgebung vor.
Den zweiten Vortrag hielt Thomas Weigold, Country President Sandoz Deutschland und CEO der Hexal AG, der am Beispiel des Sandoz-Standorts Kundl/Österreich die nötigen Anreize erläuterte, die es brauche, um Produktionskapazitäten zur erhalten bzw. nach Europa zurückzuverlagern. Er erläuterte, wie die vollintegrierte Herstellung vom Wirkstoff bis zum Antibiotikum in Kundl funktioniere und dass große Investitionen nötig seien, um wettbewerbsfähig gegenüber anderen Anbietern, wie zum Beispiel aus Asien zu sein. Dennoch zeige sich, dass kontinuierliche Investitionen, die unter anderem vom österreichischen Staat gefördert wurden, dazu beitragen, dass die Versorgungssicherheit in Europa mit derartigen Leuchtturmprojekten stark gefestigt wird. Das Penicillin aus Kundl versorge mittlerweile über 100 Märkte und somit unter anderem auch die ganze EU. Eine Abhängigkeit von komplexen Lieferketten bestehe durch die vollintegrierte Produktion nicht. Auch das Thema der Nachhaltigkeit werde in Kundl besonders fokussiert. Eine umweltzertifizierte Produktion führe auch zu einem deutlich besseren ökologischen Fußabdruck. Über die konkreten Maßnahmen hinaus beleuchtete Thomas Weigold auch die Marktbedingungen, die nachhaltig und fair sein müssen, um auch in Zukunft erfolgreich zu sein. Wertschätzung und Preismechanismen müssten überdacht werden und es müsse auch in Europa grenzübergreifend gedacht und gehandelt werden. Dies vor dem Hintergrund, dass Arzneimittel einen wichtigen Teil der europäischen Sicherheitsarchitektur darstellten.
Anknüpfend an das Thema der Nachhaltigkeit stellte Johannes Bauernfeind, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg, dar, wie eine nachhaltige und qualitätsgesicherte Versorgung mit Antibiotika im Rahmen der AOK-Rabattverträge gesichert wird. Nachhaltigkeit werde hierbei in drei Dimensionen gedacht – ökonomisch, sozial sowie ökologisch. Im Zentrum der ökologischen Nachhaltigkeit in der Arzneimittelversorgung stehe seit 2020 auch die Verankerung von Umweltkriterien in den Ausschreibungen der Arzneimittelrabattverträge. Dazu wurde eine Pilotstudie aufgesetzt, in der Anreize für die umweltgerechte Produktion von Antibiotika durch ein finanzielles Bonuskriterium für die Produzenten geschaffen wurden. In diesem Rahmen wurden Produktionsabwasserbelastungen an unterschiedlichen Standorten gemessen, wobei bei nachgewiesenen Konzentrationsüberschreitungen der Vertragsantibiotika eine Aufforderung zur Nachbesserung an den Produktionsstätten erfolgte. Zum Teil zeigten die Ergebnisse dramatische Überschreitungen der Grenzwerte, was eine Gefahr für die Umwelt und daraus auch für die Menschheit darstelle und zur Ausbreitung von AMR beitrage. Anhand der Ergebnisse betonte Johannes Bauernfeind den dringenden Handlungsbedarf auf nationaler und EU-Ebene und forderte die Übernahme verbindlicher Umweltkriterien in das EU-Arzneimittelrecht. Zudem müsse es einheitliche Kontrollsysteme über die Einhaltung der Umweltkriterien für die Zulassung und die laufende Produktion geben. Auch die Lieferketten müssten verkürzt sowie mögliche versorgungsrelevante Lieferengpässe frühzeitig erkannt werden. Schlussendlich könne die Arzneimittelversorgung nur durch gemeinsame Anstrengungen nachhaltig gestaltet und sauerhaft stabilisiert werden.
Dem Themenschwerpunkt des sachgerechten Gebrauchs von Antibiotika widmeten sich als Abschlussvortrag Prof. Dr. Uwe May und Cosima Bauer von der May und Bauer Unternehmensberatung.
Im ersten Teil des Vortrags stellte Prof. Dr. May Budgetimpacteffekte einer rationalen Antibiotikaverordnung am Beispiel der akuten Pharyngitis vor. Viele Patienten erhalten nach einem Arztbesuch eine Verschreibung für ein Antibiotikum, obwohl die akute Pharyngitis nur bei ¼ der Patienten bakteriell bedingt sei. In der vorgestellten Datenanalyse konnte gezeigt werden, dass unnötige Antibiosen durch den Einsatz von Point-of-Care Tests reduziert werden könnten, allerdings kämen diese Tests derzeitig bei Erwachsenen kaum zum Einsatz, da die Tests nicht vergütet werden. Mittels der Analyse konnte zudem gezeigt werden, dass eine Erstattung der Tests nicht nur unnötige Antibiosen, sondern auch die Kosten aus Perspektive der GKV sowie der GKV-Versichertengemeinschaft reduzieren würden.
Cosima Bauer stellte im zweiten Vortragsteil ein Versorgungskonzept vor, bei dem nicht nur die indikationsgerechte Therapie in der Arztpraxis, sondern auch in Apotheken adressiert wird. Hierbei gehe es darum, dass Patienten auch in Apotheken nach Selektion durch eine strukturierte Befragung einen Point-of-Care Test durchführen lassen könnten, um einen bakteriellen Infekt zu identifizieren, ohne den ambulanten Sektor zusätzlich zu belasten. In den Apotheken könnten die Patienten dann durch ein assistiertes telemedizinisches Angebot Zugang zu einer zeitnahen und indikationsgerechten Versorgung erhalten. Für dieses Konzept wurde eine entsprechende Studie vorgestellt, die beim G-BA Innovationsausschuss eingereicht worden ist. Ziel der Studie ist es, eine nicht-indizierte Antibiotikaverordnungen und Fehlversorgung zu vermeiden, wobei der sektorübergreifende Ansatz, nämlich die Einbindung von Arzt und Apotheke, heutzutage einen erheblichen Beitrag leisten könnte.
Im Anschluss an die Vorträge diskutierten die Teilnehmer unter Moderation von Dr. Elmar Kroth, stellvertretendem Hauptgeschäftsführer von Pharma Deutschland e.V., die unterschiedlichen Herausforderungen sowie Ansätze und Ideen. Allgemein war man sich einig, dass die Aufklärung einen wichtigen Aspekt im Sinne des rationalen Einsatzes von Antibiotika bzw. bei der Bekämpfung von AMR spiele. Zudem sei es wichtig, neue und innovative Produkte durch entsprechende Marktanreize zu fördern, da die aktuellen Marktmechanismen bei der Gruppe der Antibiotika nicht zum Tragen kommen. Aber auch der Bestandsmarkt müsse gesichert werden – die Rahmenbedingungen müssten hierbei verlässlich sein und insbesondere auch die Lieferketten müssten nachhaltig diversifiziert werden.
Michael Hennrich, Geschäftsführer Politik bei Pharma Deutschland e.V., resümierte in seinem Schlusswort zur Veranstaltung, dass neben verlässlichen Rahmenbedingungen auch vernünftige Preise, sowohl für den Bestandsmarkt als auch für neue Produkte, gesichert werden müssen. Auch der Aufbau resilienter Lieferketten spiele eine entscheidende Rolle, um sich in Zukunft besser aufzustellen, was auch durch zielgerichtete Ausschreibungen der Krankenkassen passieren könne. Zudem betonte Michael Hennrich das Thema der Aufklärung, um dem Kampf gegen AMR auf allen Ebenen begegnen zu können. Schlussendlich bedankte er sich bei allen Teilnehmern und den Referenten für den wichtigen und intensiven Austausch zum Thema.
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